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Die Stille in Ainola 1945–1957

Der Komponist, der im Oktober 1945 die Noten seiner Symphonie verbrannt hatte, ließ Finlandia-Kuva nur widerwillig einen Film in Ainola drehen. Die Kameramänner filmten Sibelius auf dem Waldpfad, auf einem Stuhl aus Baumwurzeln auf einer Lichtung, die „Tempel“ genannt wurde und am Gartentor. Auch in der Villa wurde gedreht: Sibelius an seinem Flügel und in der Bibliothek, wo er abends Schallplatten seiner Werke abspielte und Radiosendungen hörte. Die an seinem Schreibtisch gedrehte Aufnahme ist interessant: Es sieht so aus, als ob Sibelius Noten schreibe, aber die Spitze der Feder bewegt sich nicht, obwohl seine Hand sich bewegt, als ob er versucht hätte, das Zittern zu verbergen.

Sibelius zu Hause, 1927-1957

Oy Suomenfilmiteollisuus, Aho & Soldan

Jean Sibelius in Ainola in verschiedenen Jahren: Das Filmmaterial beginnt mit dem Jahr 1945. Dann folgt das umfangreiche Material aus dem Jahr 1927, auch Heidi, Margareta und Aino Sibelius sind dabei. Zum Schluss noch Aufnahmen von Sibelius’ Beerdigung, 1957.

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Im Dezember wurde der 80. Geburtstag des Komponisten gefeiert. Sibelius nahm nicht an dem Festkonzert teil, aber empfing Festdelegationen in Ainola. Er bekam veschiedenartige Geschenke: Außer wertvollen Geschenken bekam er z. B. ein Paar Gummistiefel der Firma Nokia, mit denen er in die Küche latschte, um das Dienstpersonal zum Lachen zu bringen. Die Nachbarn schenkten „Schätze“ wie etwa Butter, Eier und Mehl.

Jean Sibelius empfängt in Ainola Gäste, 1945

Ende der 1940er Jahre zeigte Sibelius auf, dass „die Stille in Ainola“ gar nicht so still war, wie man im Allgemeinen vermutete. Während einer einzigen Nacht, 1946, komponierte er zwei neue Sätze für die rituelle Freimaurer-Musik, Brudergesang (Veljesvirsi) und Lobeshymne (Ylistyshymni). 1948 überarbeitete er diese Lieder und andere rituelle Freimaurer-Musik und machte sie für den Druck fertig. Er arrangierte auch die Hymne Finlandia für gemischten Chor.

Sibelius war mit der Gesamtlage zufrieden. „Es ist wunderbar, schon zu Lebzeiten Anerkennung zu erhalten“, stellte er 1947 in einem Interview fest. „So viele Künstler dürfen nie erfahren, dass ihre Kunst sich durchgesetzt hat“. Auch Aino war mit der Situation zufrieden. „In den letzten zwanzig Jahren änderte sich das Leben in der einen Beziehung [Alkohol], und insbesondere etwa fünfzehn Jahre vor dem Ende war alles aufgeklärt“, erinnerte sie sich später. Die einzige Plage war die Veranlagung des Komponisten auch die kleinsten negativen Kritiken oder andere Flecken in seinem Komponistenruf zu übertreiben. Seine Veranlagung, sich auch ganz unnötig Sorgen zu machen, ließ ihn nicht schlafen und war anstrengend für seine Mitmenschen.

Sibelius fing erst 1948 an, von seinem hohen Alter zu sprechen und begründete damit seine Weigerung, an ausländischen Sibelius-Veranstaltungen teilzunehmen. Sein Privatsekretär Santeri Levas war der Meinung, dass Sibelius erst in jenem Jahr, mit seinen achtenswerten 82 Jahren, alt wurde.

In demselben Jahr gab Sibelius sein einziges Radiointerview. Sibelius erzählte in dem von Kalevi Kilpi vom finnischen Rundfunk durchgeführten Interview, dass er sowohl Großstädte als auch Wälder möge. „Hier in Ainola spricht diese Stille“, sagte Sibelius. Die Aufnahme des Interviews übermittelt gut Sibelius' Fähigkeit kurz und bündig zu antworten, ohne dabei besondere Informationen zu geben.

Sibelius' Interview

Das Rundfunkinterview von Kalevi Kilpi am 6.12.1948 für das Radioprogramm „Gedicht, Melodie, Pinsel“. In dem Programm geht es um das Kulturmilieu am Tuusula-See. Das Interview wurde in finnischer Sprache geführt.

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Zu den letzten halböffentlichen Auftritten in Sibelius’ Leben gehörte das Fest zu seinem 85. Geburtstag im Dezember 1950 in Ainola. Viele Blitzlichter – besonders als Staatspräsident J. K. Paasikivi den Komponisten begrüßte. Der Besuch zog sich in die Länge, als die beiden ehemaligen Zöglinge des Normallyzeums von Hämeenlinna sich an Lehrer und Mitschüler in den 1880er Jahren erinnerten.

Die Fotokavalkade (stumm)

Die Wahl von J. K. Paasikivi zum Präsidenten. Das 400-jährige Jubiläum Helsinkis. Paasikivi auf dem Fest zu Sibelius' 85. Geburtstag in Ainola. Weitere Paasikivi-Filme.

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Aus Anlass des Jubiläums lobte Olin Downes Sibelius in einem umfangreichen Artikel in der „New York Times“. Downes hielt Sibelius für einen großen neoklassizistischen Komponisten des 20. Jahrhunderts und stellte ihn wieder einmal den „Modernisten“ und „Intellektuellen“, die er gerne verspottete, als gesundes Gegengewicht entgegen. Der Artikel erregte natürlich nur die Feinde von Downes. Sibelius war für sie, wegen der Artikel von Downes, das Urbild eines konservativen Komponisten.

Jean und Aino Sibelius

Besonders in Deutschland war Sibelius nach dem zweiten Weltkrieg außer Mode gekommen. Theodor W. Adorno hetzte die junge Generation von Kritikern und Komponisten zu einer abwehrenden Haltung gegen Sibelius auf. Er hielt Vorlesungen über die neue Musik in Darmstadt. Man versuchte, Sibelius diese Gegenreaktion zu verheimlichen, aber er war sich dieser heftig geführten Diskussion in Kritikerkreisen sehr bewusst.

Sogar noch 1951 behauptete Sibelius, er komponiere eine neue Symphonie, aber er bezweifle, ob er sie jemals aus seinem Kopf aufs Papier bekommen werde. Er war immer noch in der Lage, kleinere Arbeiten zu erledigen: Während dieses Jahres vollendete er ein neues Arrangement für Opus 91b.

Im selben Jahr fingen die Sibelius-Wochen in Helsinki an und der Komponist empfing Interpreten seiner Musik, wie Eugen Ormandy, Isaac Stern und Jussi Björling. Die Künstlerbesuche setzten sich während der Festspiele fort, beinahe während der ganzen 1950er Jahre. Zum Beispiel empfing man 1954 Sir Thomas Beecham in Ainola.

Erst im Herbst jenes Jahres gestand Sibelius, dass die Kompositionsarbeit hoffnungslos sei. „Ich habe eigenhändig einen Brief an Tali Paul [die Witwe von Adolf Paul] geschrieben“, erzählte er im Herbst 1954. „Es war eine Riesenarbeit. Aber ich träume immer noch davon, dass ich noch komponieren könnte“. Sibelius bekam auch das neue Arrangement für Weihnachtsweise (Julvisa, Joululaulu) fertig.

Jean Sibelius traf im Juni 1951 Eugen Ormandy (im Bild) in Ainola und erneut 1955

Sogar noch 1955 empfing Sibelius Yehudi Menuhin in Ainola, das Philadelphia Orchestra und den Dirigenten Eugene Ormandy. Im Dezember desselben Jahres wurde der Komponist schon vor der Öffentlichkeit geschützt. Die Feier zum 90. Geburtstag fand im Kreis der Familie statt.

Nach Aussage von Jussi Jalas glichen die letzten Jahre des Komponisten äußerlich einander. „Seine Gesundheit war gut, er las, ging spazieren, genoss die Natur und verfolgte im Radio die Ereignisse in der Welt, besonders jener in der Musikwelt“, schrieb Jussi Jalas. „Berührung mit der Außenwelt hatte er in erster Linie dann, wenn Verwandte ihn besuchten. Gäste empfing er nur noch selten. Die beinahe einzigen Ausnahmen waren die Manager und Solisten der Sibelius-Wochen, deren Besuche ihn immer aufmunterten und inspirierten“.

Der Privatsekretär Santeri Levas merkte, wie die Kräfte des Meisters langsam nachließen. „In seinen letzten Lebensjahren war der Maestro nicht mehr wie früher. Er saß jetzt oft in seinem Sessel in der Ecke der Bibliothek. Während der Winterzeit ging er überhaupt nicht mehr aus dem Haus und auch im Sommer nur bei schönem Wetter“.

Vom Komponieren sprach der Komponist nicht mehr mit seinem Sekretär. Die Tragödie der achten Symphonie hatte mit Resignation geendet. Die Familie musste dennoch aufpassen, dass die gelegentlichen negativen Kritiken oder auch die kleinen Flecken in seinem Weltruf den Komponisten nicht deprimieren konnten. Im Jahr 1952 war Sibelius wochenlang schockiert gewesen, weil in der von Yrjö Suomalainen verfassten Biographie von Robert Kajanus behauptet wurde, dass dieser Sibelius bei Kompositionsarbeiten beraten habe.

Auch die Jugendarbeiten, die der Komponist für geringfügig hielt, machten ihm Angst. Sibelius wäre wahrscheinlich schockiert gewesen, wenn er erfahren hätte, dass Anfang des 21. Jahrhunderts sogar seine geringsten Entwürfe in Konzerten aufgeführt und aufgenommen wurden.

 

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