Anfang
der 1880er Jahre löste die Geige das Klavier als Hauptinstrument
Jannes ab. Sein absolutes Gehör hatte sich an das zu tief
gestimmte Tafelklavier des Elternhauses gewöhnt. Als ein neues
Klavier angeschafft wurde, das korrekt gestimmt war, entfremdete
sich Sibelius dem Instrument und wandte sich der Geige zu.
Im
Herbst 1881, schon fast 16 Jahre alt, bekam er endlich vom Militärkapellmeister
Gustaf Levander fachmännischen Musikunterricht. Dies hatte schon
vor dem Semesteranfang einen dramatischen Einfluss auf den
Schulerfolg. Janne hatte von seinem Onkel Pehr, der in Turku
wohnte, im Sommer 1881 eine gute Geige bekommen und vergaß darüber
ganz, für seine Lateinnachprüfung zu lernen. Er musste die fünfte
Klasse wiederholen.
Sibelius'
Abschlusszeugnis von der gymnasialen Unterstufe in Hämeenlinna
Beim
Geigenspiel machte er jedoch schnell Fortschritte. Die Geschwister
bildeten ein Trio, in dem Janne Geige spielte, Linda Klavier und
der kleine Bruder Christian Cello.
Geschwistertrio
Janne, Linda und Christian im Kurbadkasino in Loviisa
Im
Dezember 1881 war Janne auch dem Schulorchester als zweiter Geiger
beigetreten. Bald spielte er auch in einem Quartett der lokalen
Musikliebhaber. Sie hatten zum Beispiel Haydn’s Quartette und
Kompositionen von Schubert und Mendelssohn in ihrem Programm.
In
vielen Sibelius-Biographien wird erwähnt, dass Janne seine erste
Komposition Vattendroppar
(Wassertropfen)
in den Jahren 1875–1876 geschaffen hätte. Es handelt sich um
eine im Stil der Wiener Klassik komponierte Miniatur für Cello
und Geige.
Heute vermuten die meisten Forscher, dass die Komposition eher
Anfang der 1880er Jahre entstanden wäre und es könnte sich um
eine kleine Pizzicato-Übung für sich selbst und Bruder Christian
handeln. Christian hatte erst angefangen, Cello zu spielen.
Im
Frühling 1883 schrieb Sibelius auf, dass er angefangen hatte,
sich mit Harmonielehre zu befassen. ”Ich habe insbesondere
Klavier gespielt, um endlich die Noten so zu lesen lernen, wie der
Onkel es gesagt hat”, schrieb er.
Die
erste Erwähnung einer eigenen Komposition ist in einem Brief aus
Kalalahti vom 25. August 1883 zu lesen. Sibelius erzählte, dass
er ein Trio komponiert hätte und an einem zweiten arbeitete. „Sie
sind nicht gut, aber es tut gut, an Regentagen eine Beschäftigung
zu haben“, schrieb er. Das erhalten gebliebene Trio ist die
erste Komposition von Janne, die man mit Sicherheit datieren kann.
Hier liegt der Anfang der Karriere von Sibelius als Komponist.
Sibelius
komponierte seine frühesten Werke als Bedarfsmusik für die
Familienmitglieder. In seinen frühen Werken erkannte man Einflüsse
des Wiener Klassizismus und später besonders von Tschaikowski und
Grieg.
Im
Februar 1884 wurde Janne mit Johann Christian Lobes Werk Lehrbuch
der musikalischen Composition
bekannt, das er in seinem Brief an Onkel Pehr mit dem Namen Compositionslehre
bezeichnete. Wenn Sibelius das Werk tatsächlich durcharbeitete,
erhielt er für sein Alter außergewöhnliche Kenntnisse in
Musiktheorie. Bald komponierte Sibelius nach Lobes Theorien ein
Quartett und ein Trio für Klavier.
Das
Komponieren nahm so viel Zeit in Anspruch, dass sein Schulerfolg
auf dem Spiel stand. Janne bekam gute Noten in den Schulfächern,
die ihn interessierten, aber um die übrigen Fächer kümmerte er
sich nur wenig. Ungeachtet aller schlimmen Vorahnungen der
Verwandtschaft, ist es Janne gelungen im Frühjahr 1885 die
Reifeprüfung zu bestehen, obwohl auf den Seitenrändern des Prüfungspapiers
in Mathematik statt Nummern viele Musiknoten erschienen. Der
erhalten gebliebene Abituraufsatz ist ein Beweis dafür, dass
Jannes Schulfinnisch recht gut war und dass die Regentschaft des
Gustav III von Schweden (1771–1792) ihn besonders interessierte.
Sibelius
überlegte in seinen Briefen eine Karriere als Kontorist oder
Apotheker, folgte dann aber dem Rat seines Onkels Axel Borg und
immatrikulierte sich an der juristischen Fakultät der Universität
Helsinki. Die Familie wollte aber auch Jannes Beschäftigung mit
der Musik nicht verhindern und so durfte der frischgebackene
Abiturient sich auch an einer Musikschule als außerordentlicher
Student anmelden.