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Auf dem Gipfelpunkt der Popularität 1934–1939

Nachdem Sibelius aufgehört hatte, aktiv an der achten Symphonie zu arbeiten, änderte sich sein Lebensrhythmus.

„Der Papa verbrachte mehr Zeit draußen in der frischen Luft und las viel“, erinnerte sich die Tochter Katarina. „Vielleicht besuchten auch mehr Gäste Ainola, auch die Zahl der Nachkommen [Enkelkinder, bald auch Urenkel] war schon ziemlich groß. Er ging viel mit Eero Järnefelt spazieren. Sie kamen gut miteinander aus. Man hörte zusammen Musik, besuchte Kunstausstellungen“.

Margareta und auch Heidi waren schon verheiratet. Aus dem Kinderzimmer wurde jetzt die Bibliothek und Sibelius fing an, in dem Sessel in der Ecke zu sitzen und dort abends Radio zu hören. Er suchte auf den Frequenzen der Rundfunksender verschiedener Länder Aufführungen seiner eigenen Werke und hörte den Sendungen kritisch zu.

Die Kompositionsarbeit ging weiter. Im Jahr 1935 gab Sibelius zahlreiche Interviews und in einem von ihnen enthüllte er eine recht grausige Tatsache. „Er hat ohne Zweifel die Arbeit eines ganzen Jahres vernichtet“, schrieb Elsa von Born. Der Komponist hatte sich möglicherweise entschieden, seine achte Symphonie wieder einmal gründlich neu zu bearbeiten.


Jean Sibelius bei der Ankunft zu seinem Geburtstagsfest in die Messehalle zu Helsinki, 1935

Sibelius' 70. Geburtstag war ein internationales Medienereignis. Er war zumindest in den Vereinigten Staaten, in Großbritannien und in den nordischen Ländern zum beliebtesten lebenden Komponisten aufgestiegen.

Ende November wurden in der „New York Times“ die Ergebnisse einer Umfrage veröffentlicht. 12 000 Zuhörer überall in den Vereinigten Staaten von Amerika waren nach ihrem Lieblingskomponisten bei den sonntäglichen Radiokonzerten der „New Yorker Philharmoniker“ befragt worden. Sibelius war der beliebteste Komponist und ließ Beethoven und Ravel hinter sich.

Die „New York Times“ fragte in ihrem Festartikel nach der achten Symphonie und das ärgerte den Komponisten. „Es war ausschlaggebend, dass die achte Symphonie ein vollkommen vorzeitiges Aufsehen erregte“, vermutete die Tochter Katarina. „Der Vater war unglücklich. Das kann man gar nicht beschreiben. Er konnte seine Kräfte nicht abschätzen oder kalkulieren, wann die Symphonie fertig sein könnte. – Es war wirklich furchtbar, wie Leute darauf warteten und danach fragten. Er dachte, dass er auch selber mit dem Alter heranreifen sollte. Er wollte, dass sie besser wird als seine anderen Symphonien. Schließlich wurde die Symphonie eine Bürde, obwohl schon so viel fertig geschrieben worden war. Letztendlich weiß ich nicht, ob er sie gutgeheißen hätte.“


Mannerheim, Aino und Jean Sibelius auf der Feier zum 70. Geburtstag des Komponisten

Der siebzigjährige Sibelius wurde mit Ehrenerweisungen überhäuft. Deutschland zum Beispiel verlieh ihm die höchste deutsche Auszeichnung für Kunst, die Goethe-Medaille. Schon waren die Nazis an die Macht gekommen und so unterzeichnete  Reichskanzler Adolf Hitler die Verleihungsurkunde.

Das festliche Abendessen war Sibelius' letzter großer Auftritt in der Öffentlichkeit. Aino Sibelius durfte neben ihrem Idol, Carl Gustaf Emil Mannerheim, sitzen. Aus den Lautsprechern des Saales rauschte Sibelius' Symphonie Nr. 2 in einer Radiosendung, in der Otto Klemperer die „New Yorker Philharmoniker“ dirigierte.

Die Feierlichkeiten waren gut gelungen, aber der alternde Sibelius fand das Zittern seiner Hände so lästig, dass er danach öffentlichen Veranstaltungen aus dem Wege ging.

Sibelius traf in den 1930er Jahren auch andere interessante Künstler und Persönlichkeiten in Ainola und in Helsinki:  Die Sängerin Marian Anderson, den Violinisten Guila Bustabo, Olin Downes, Cecil Gray und viele andere ausländische Journalisten, die er auf Empfehlung des finnischen Außenministeriums empfing.


Kaffeetrinken im Park der Villa Ainola, Jean und Aino Sibelius mit Enkel Erkki Virkkunen

Sibelius verbrachte seine Tage damit, Bücher zu lesen, die spielenden Enkelkinder zu beobachten und Radio zu hören. Die Nächte widmete der Komponist zum größten Teil der Arbeit. Es gibt keine Information darüber, wie die achte Symphonie vorankam. Der Komponist war jedenfalls Ende der 1930er Jahre im Stande mehrere seiner alten Werke zu verbessern und sie an Verleger zu schicken. Er erneuerte 1939 zum Beispiel die symphonischen Gedichte Lemminkäinen und die Mädchen auf der Insel (Lemminkäinen ja saaren neidot) sowie Lemmikäinen in Tuonela (Lemminkäinen Tuonelassa) so, dass sie veröffentlicht werden konnten. Wegen des zweiten Weltkrieges zog sich die Veröffentlichung bis zum Jahr 1954 hin.

Im Januar 1939 stimmte Sibelius überraschend noch einem Auftritt als Dirigent zu. Sibelius dirigierte das Symphonieorchester des finnischen Rundfunks in einer Radioübertragung zu Ehren der New Yorker Weltausstellung. Publikum wurde nicht eingelassen und den Musikern fiel das Händezittern des Komponisten auf. Es störte aber weder die kurze Probe noch die Aufführung. Diese Aufnahme war und blieb die einzige, an der Sibelius als Dirigent mitwirkte.



Arvi Paloheimo begleitet Jean Sibelius, zur Rundfunkübertragung, Januar 1939  

Sibelius dirigierte das neue Arrangement seines im Jahr 1922 komponierten Werkes Andante festivo in langsamem und feierlichem Tempo. Der Klang der Streichinstrumente des Orchesters ist singend, aber etwas robust – man kann deutlich hören, dass die Aufnahme nach einer einzigen Gemeinschaftsprobe gemacht wurde. Sibelius hält das Grundtempo sehr professionell aufrecht und bildet gleichzeitig sehr ungezwungene Rubatos aus. Mit dem Recht des Komponisten weicht er ein paar Mal bedeutend von den Aufführungsanweisungen seiner Partitur ab.

Andante festivo, die Probe

Die Probe für die Rundfunkübertragung, die am 1.1.1939 zu Ehren der New Yorker Weltausstellung veranstaltet wurde. Stimmengewirr am Anfang der Probe und das Stimmen der Instrumente, Sibelius' Schritte und Applaus für den Komponisten. Auf dem sehr verschwommenen Band hört man Sibelius fragen, ob Finnisch gesprochen wird und danach nimmt er die Probe in Angriff.

Andante festivo, harjoitus.mp3
Andante festivo, harjoitus_56k.rm
Andante festivo, harjoitus_isdn.rm
Andante festivo, harjoitus_xdsl.rm

 

Eine Aufnahme, die vom Klang her vollendeter und noch langsamer ist, wurde später auf Platte aufgenommen. Sie wurde irrtümlich als „von Sibelius dirigierte Fassung“ bezeichnet, obwohl der Dirigent nicht Sibelius sein konnte, sondern möglicherweise Toivo Haapanen. Die richtige, von Sibelius dirigierte Aufführung, wurde zum ersten Mal auf einer Platte veröffentlicht, die der Nummer 2/1995 der Musikzeitschrift „Classica“ beigelegt war.


Arvi Paloheimo und Jean Sibelius am 1.1.1939 nach der Aufnahme von Andante Festivo