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Eine Sage
(En saga, Satu)

Op. 9 Eine Sage (En Saga, Satu), Tondichtung. 1. Fassung 1892, Erstaufführung am 16. Februar 1893 in Helsinki (Orchester der Philharmonischen Gesellschaft, Dirigent Jean Sibelius). Endgültige Fassung 1902, Erstaufführung am 3. November 1902 in Helsinki (Orchester der Philharmonischen Gesellschaft, Dirigent Robert Kajanus).

Robert Kajanus erinnerte Sibelius gleich im Frühling 1892 daran, dass die massive Apparatur, die die Aufführung von Kullervo in Anspruch nehmen würde, die Möglichkeiten für die Aufführung des Werkes auch begrenzen würden. Er erhoffte vom Komponisten jetzt ein kleineres Orchesterwerk, das leichter aufzuführen wäre.

Sibelius fing auch an, ein neues Orchesterwerk zu komponieren. Er hatte schon 1891 in Wien ein Oktett oder Septett geplant und später auch „Balletszene Nr. 2“. Möglicherweise fingen die Materialien dieser Entwürfe an, sich jetzt zu einem Orchesterwerk auszuformen. Gleich nach der Hochzeit komponierte Sibelius Eine Sage (En Saga, Satu) im Haus Monola nahe bei Lieksa. Die Arbeit wurde unterbrochen, weil er nach Karelien reiste, um Runen zu sammeln, und danach wurde die Arbeit 1892 in der ersten Familienwohnung in Helsinki fortgesetzt. Das Werk wurde im Dezember vollendet.

Eine Sage (En Saga, Satu) wurde kein kleines Werk, sondern eine vielseitige Tondichtung, die in der Originalfassung über 20 Minuten dauerte. Die Mitglieder des  Orchesters von Kajanus hielten das Werk für genauso unverständlich wie Kullervo und ein Teil des Orchesters war dafür, das Werk abzulehnen. Davon wollte Kajanus nichts hören und die Komposition wurde am 16. Februar aufgeführt. Kajanus dirigierte das allgemeine Programm, aber der Komponist sein eigenes Werk Eine Sage (En Saga, Satu). Das Stück wurde ganz anders aufgenommen als Kullervo. Man wunderte sich ganz im Allgemeinen, wovon die Tondichtung Eine Sage (En Saga, Satu) eigentlich erzählte. Sibelius erläuterte nie das mögliche Programm seines Werkes. Eine Sage (En Saga, Satu) war für ihn „ein Ausdruck des Seelenzustandes“.

„Eine Sage (En Saga, Satu) ist psychologisch eines meiner allertiefsten Werke. Ich könnte fast sagen, dass es meine ganze Jugend beinhaltet. Es ist Ausdruck eines gewissen Seelenzustandes. Zu der Zeit, als ich Eine Sage (En Saga, Satu) komponierte, musste ich viel Schreckliches erleben. In keinem anderen Werk habe ich mich so total geöffnet wie in diesem. Alle Interpretationen des Werkes Eine Sage (En Saga, Satu) kommen mir auch deshalb ganz fremd vor.“

Der Kritiker Karl Flodin fand das Werk undurchschaubar. „Wenn seine musikalische Intuition nur etwas weniger willkürlich wäre“, beschwerte er sich. Oskar Merikanto schlug vor, dass Sibelius in seinem Werk die als überflüssig erkennbaren Stellen streichen sollte, was Sibelius dann im Jahr 1902 auch tat.

Eine Sage (En Saga, Satu) ist eine Einleitung zu Sibelius’ Art mit dem Symbolismus umzugehen. Es ist kein Zufall, dass er in seinem Brief an Adolf Paul von Böcklins Gemälden im selben Satz wie von seinem Werk Eine Sage (En Saga, Satu) spricht.

Eine Sage (En Saga, Satu) ist auch ein finnisches Werk. Die Stimmung in der Originalfassung erinnert an das Kalevala (Kalevala). Auch Sibelius sah den Zusammenhang zwischen der Stimmung des Werkes und Finnland, sogar noch im Jahr 1921, in einem Interview mit A. O. Väisänen.

„Heimatlich ist die Stimmung des Werkes. Wie könnte man beim Zuhören des Werkes Eine Sage (En Saga, Satu) an etwas anderes als an Finnland denken! Den Anfang der Komposition komponierte ich in Wien und arbeitete daran weiter im Haus Monola nahe bei Lieksa, wo wir den Spätsommer 1892 verbrachten. [Die Familie Sibelius hielt sich ungefähr vom 15. Juni bis zum 15. Juli in Lieksa auf.] Auf die Qualität der Komposition Eine Sage (En Saga, Satu) hatte es jedoch keine Wirkung, wo sie komponiert wurde. Ich war nie so finnisch wie in Wien, Italien und Paris und nie so sehr Pariser wie am Pielisjärvi-See.“

In dem Interview mit Väisänen betonte Sibelius das Finnische im Werk Eine Sage (En Saga, Satu), aber Jahrzehnte später behauptete er, das die Stimmung der Komposition näher den alten isländischen Edda-Runen liege als dem Kalevala (Kalevala). Vielleicht liegt die Äußerung vom Jahr 1921 dennoch näher den Gedanken von Sibelius zu jener Zeit, als er Eine Sage (En Saga, Satu) komponierte.

Zum Ärgernis von Robert Kajanus und Aino Sibelius fasste Sibelius den Entschluss das Werk im Jahr 1902 zu erneuern. „Ich mag und habe immer die erste Fassung gemocht. Der Papa strich einige wilde Stellen darin. Eine Sage (En Saga, Satu) ist jetzt kultivierter, polierter“, klagte Aino Sibelius in ihren alten Tagen. In der Praxis sah man „die Kultiviertheit“ in der Harmonisierung des Materials, im Verringern der Tempowechsel und Modulationen sowie in der verbesserten Instrumentation. Sibelius strich auch den umfangreichen, pastoralen mittleren Abschnitt, der seine bis auf weiteres modernste Tonsprache enthielt, wie parallele Septiminversionen von Nonenakkorden.

Kajanus dirigierte die neue Fassung des Werkes Eine Sage (En Saga, Satu) am 2. November 1902 in Helsinki. Oskar Merikanto war immer noch nicht überzeugt:

„Es ist auch eine unbestreitbare Tatsache, dass die Komposition im Ganzen – trotz der Verbesserungen – einen schwermütigen, kränklichen Eindruck macht. Aber es ist ja auch nur ‚eine Sage’, die man ja nicht zu ernst nehmen soll. Deshalb war es auch erfreulich, sehen zu dürfen, wie enorm Sibelius sich in seinen späteren Kompositionen und vor allem in seinen beiden Symphonien entwickelte, gesundet ist und einen sicheren Stil gefunden hat.“

Evert Katila von der Zeitung „Uusi Suometar“ war dem Werk wohlgesinnter: „Neu in der späteren Fassung sind besonders die größere Konzentration, einige starke Crescendi und die vortrefflichere Anwendung der Hörner“, analysierte er.

Sibelius reiste im selben Jahr 1902 nach Berlin, und dirigierte da die Philharmoniker bei der Aufführung der neuen Fassung. Das Konzert war ein Erfolg, und die meisten Kritiker lobten das Werk. „Ich wurde fünf (?) Mal auf die Bühne gerufen. Die Hauptsache ist, dass ich ein Orchester der Weltklasse dirigieren kann. Und gut! Das sagten alle!“ schrieb der Komponist Aino am 16. November.

Er konnte ja auch schon gut komponieren. Eine Sage (En Saga, Satu) beginnt sowohl in der Fassung des Jahres 1893 als auch in der des Jahres 1902 mit einer traumähnlichen Figur der Streichinstrumente. Bald danach spielen die Holzblasinstrumente ein wichtelmännchenähnlich schlurfendes Motiv.



Eine Sage (En saga, Satu), Auszug aus der Partiturseite 2, Breitkopf & Härtel

Musikwissenschaftler haben viel darüber gestritten, welches das Hauptthema und welches das Seitenthema des Werkes sein soll. Jedoch gibt es schon in diesem frühen Motiv Rhythmik- und Tonwiederholungen des zentralen Themenmaterials.

Bald danach gehen die Fassungen auseinander. Die ursprüngliche Fassung hat 952 und die endgültige 810 Takte. Die längere ursprüngliche Fassung ist auch frischer, primitiver, fragmentarischer und heterogener. Die endgültige Fassung ist jedoch konsequenter. Das Themenmaterial präsentiert sich in deutlicheren Zügen zuerst mit den Fagotten in cis-Moll.



Eine Sage (En Saga, Satu), Auszug aus der Partiturseite 6, Breitkopf & Härtel

Die Waldhörner fallen ein, während die Streichinstrumente ihr traumähnliches Spiel im Hintergrund fortsetzen. In der Allegro-Episode wird das Hauptthema vorgestellt, das schon in der langsameren Einleitung angekündigt wurde. Nach der feinen Kulmination des Orchesters ist ein wichtiges Themenmotiv der Violen zu hören, das auch schon als Seitenthema bezeichnet worden ist. Dessen Verwandtschaft mit dem von den Fagotten präsentierten Thema ist offensichtlich.

Eine Sage (En Saga, Satu), Auszug aus der Partiturseite 26, Breitkopf & Härtel

Noch ein drittes Motiv ist sehr nahe mit den vorangegangenen verbunden. Salmenhaara überlegte, ob er es als Schlussthema oder nur als zweites Seitenthema bezeichnen sollte. Es stellt sich zuerst mit Violinen vor.


Eine Sage (En Saga, Satu), Auszug aus der Partiturseite 30, Breitkopf & Härtel

Hier sieht man das zentrale Themenmotiv, aus welchem Sibelius sein Werk Eine Sage (En Saga, Satu) zusammengestellt hat. Sibelius variiert und entwickelt sein Themenmotiv etwa wie die finnischen Runensänger. In der ursprünglichen Fassung gibt es noch mehr Material, aber hier geht die Ganzheit gezwungen von ihrer inneren Logik eindrucksvoller weiter. Die ursprüngliche Fassung ist etwas überschäumend, die endgültige aber stellt eine organische Ganzheit dar.

Eine Sage (En Saga, Satu) ist ein tonal abenteuerliches Werk, das bei a-Moll beginnt und bei es-Moll endet. Robert Layton hat betont, dass Eine Sage (En Saga, Satu) schon in ihrer Orchestration eine meisterhafte Leistung ist. Sibelius erweist sich als ein echter Orchesterkomponist und kann in dieser Beziehung mit Berlioz verglichen werden. Diese Stimmungen könnten nicht am Klavier und auch nicht durch die Orchestration einer Fassung für Klavier entstehen.

Die Fassung 1902 des Werkes Eine Sage (En Saga, Satu) faszinierte das Publikum auch im Ausland schnell und große Musiker wie u. a. Arturo Toscanini und Henry Wood fügten es ihren Repertoires bei. Eine Sage (En Saga, Satu) gehört gegenwärtig zu den beliebtesten und am öftesten aufgenommenen Orchesterwerken von Sibelius.