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Tapiola


Op. 112 Tapiola, Symphonische Dichtung. Vollendet 1926, Erstaufführung am 26. Dezember 1926 in New York (New York Symphonic Society, Dirigent Walter Damrosch).

Die symphonischen Dichtungen von Jean Sibelius erreichten 1926 mit Tapiola ihren Höhepunkt. Es handelt sich um Sibelius’ letztes Meisterwerk für Orchester. Im August 1927 schickte er noch die Suiten aus der Bühnenmusik Der Sturm an den Verleger, aber sie entsprachen nicht mehr den Erwartungen, die die originale Bühnenmusik geweckt hatte.  Dagegen ist Tapiola eines der originellsten und kunstvollsten Meisterwerke von Sibelius, eine der fantastischsten Kompositionen des ganzen 20. Jahrhunderts.

Tapiola war eine Auftragsarbeit. Der Dirigent Walter Damrosch bat Sibelius im Januar 1926 um eine symphonische Dichtung von 15–20 Minuten, die er in New York aufführen wollte und der Meister stimmte zu. Die finanzielle Lage des Komponisten war schon ganz gut. Er verwöhnte sich mit einer Reise nach Rom, wo er sein Motiv aus dem Kalevala (Kalevala) komponieren wollte. Auf derselben Reise machte er auch Urlaub auf der Insel Capri. In seinen Rom-Briefen kann man lesen, dass der Arbeitstitel der Komposition „The Wood“ gewesen war, aber Aino Sibelius hatte ihn in „The Forest“ korrigiert.

Tapiola wurde Ende August in Ainola vollendet, aber schon im September telegrafierte Sibelius an den Verleger Breitkopf & Härtel und bat die Partitur für Korrekturen zurück. Meistens hatte er ja die letzten Korrekturen in der Partitur nach der von ihm dirigierten Erstaufführung vorgenommen. In diesem Fall gab es diese Möglichkeit nicht, denn Damrosch sollte die Erstaufführung in New York dirigieren.

Die Korrekturarbeit gefiel ihm nicht. „Zu meinem Unglück habe ich diesen Auftrag akzeptiert. Der Sturm (Myrsky) und Wäinämöinens Gesang (Väinön virsi) waren auch Auftragsarbeiten. Bin ich für so etwas geschaffen?“, überlegte er und hielt fest, dass er gerade Whisky trinke.

Nachdem er zum letzten Mal im Ausland ein Orchester dirigiert hatte und zwar in Kopenhagen, schöpfte Sibelius Mut, die wenigen Korrekturen in dem Werk zu erledigen. Seine Selbstkritik war noch nicht bis ins Unmögliche angewachsen. Damrosch erhielt die Partitur im November, so dass er genügend Zeit vor der Uraufführung des Werkes hatte. Sibelius schickte seinem Verleger auch einen Entwurf, in dem die Stellung von Tapio in der finnischen Mythologie erklärt wurde. Der Verleger bearbeitete daraus ein Motto in vier Versen für die Komposition:

Da dehnen sich des Nordlands düstre Wälder / Uralt-geheimnisvoll in wilden Träumen, / In ihnen wohnt der Wälder großer Gott, / Waldgeister weben heimlich in dem Dunkel.

Uraufführung war am zweiten Weihnachtstag; das Werk kam nicht besonders gut an. Sogar der eifrige Sibelius-Anhänger, Olin Downes, von „New York Times“ war verwundert, obwohl er das Werk würdigend rezensierte. Noch weniger verstand Lawrence Gilman von „New York Herald Tribune” das Werk Tapiola.

In Finnland war die Komposition am 25. April 1927 unter der Leitung von Kajanus zu hören, zusammen mit der Ouvertüre des Werkes Der Sturm (Myrsky) und mit der Erstaufführung der Symphonie Nr. 7 in Finnland. Leevi Madetoja war der Meinung, dass Tapiola „komplex“ wäre.

„Zuweilen hört man das wehmütige, sich immer wieder wiederholende Munkeln des Waldgeistes, zuweilen tanzen die Wichtelmännchen hitzig, zuweilen wiederum schreit ein einsamer Wanderer in der Einöde seinen Lebensschmerz gegen Himmel. Ein schönes Werk, technisch der Symphonie Nr. 7 nahe.“

Heikki Klemetti war genauso poetisch. Er meinte, dass Tapiola „den Duft eines Sumpfes“, den Flug eines Adlers, seltsame Geschöpfe und die reiche Poesie einsamer Waldgegenden beinhaltete. Karl Ekman von Hufvudstadsbladet war analytischer als die anderen. Ihm fielen die Variationen auf, die sich aus der „Anfangsmelodie“ von Tapiola entwickelten.

Tapiola ist ja auch eine monothematische Ganzheit. Es wurde allerdings darüber debattiert, ob das Kernthema überhaupt ein Thema sei. Erkki Salmenhaaras Meinung nach, ist das nicht der Fall. Er meint, dass das Thema sich mindestens zu vier zentralen Grundmotiven herausformt, die im Zusammenhang zueinander stehen. Sie wiederum gestalten sich zu „ca. dreißig Tonmotiven, die ausdrucksmäßig äußerst charakteristisch, äußerst individuell und unnachahmlich sibelianisch sind“.

Veijo Murtomäki seinerseits sieht am Anfang des Werkes eine Melodienabfolge, die alle Motive des Werkes zustande bringt, und er beweist das mit einer Tabelle (Goss 1993, s. 155). Murtomäki sieht, dass das Werk sich gleichzeitig als eine Anwendung sowohl der Sonatenform und als auch des Variationsprinzips präsentiert. So ist die Äußerung von Sibelius, dass Tapiola „in Sonatenform“ geschrieben worden sei, begründet.

Das Kernmotiv kann man gleich am Anfang durch die Streicher hören.


Auszug aus einer Partiturseite von Tapiola, Breitkopf & Härtel

Die Antwort der Holzblasinstrumente betont die Öde der Stimmung. Der abrupte Schlag der Blechbläser setzt die Phase Allegro moderato in Gang. Die Vieldeutigkeit setzt sich fort, während die Musik zwischen h-Moll und gis-Moll schwebt. Gis kann auch als ein Ton der h-dorischen Skala interpretiert werden.

Die Antwort der Holzblasinstrumente führt in eine Phase, für die Sibelius in seinen alten Tagen eine programmatische Interpretation gab. Er erzählte seinem Schwiegersohn Jussi Jalas, dass „an der Stelle kommen die Kobolde und die Waldtiere“.


Auszug aus einer Partiturseite von Tapiola, Breitkopf & Härtel

Diese Motive werden später heller und spielerischer. Die Schatten werden länger und aus den Fragmenten entfaltet sich nach und nach eine mehr hymnenartige Phase, in der die Streicher edel klingen und echt sibelianisch in einem hohen Register, ein wenig wie in der Symphonie Nr. 7. Der Donner der Blechblasinstrumente ändert die Stimmung ruckartig. Es ist, als ob es aufblitzte und donnerte.


Auszug aus einer Partiturseite von Tapiola, Breitkopf & Härtel


Auszug aus einer Partiturseite von Tapiola, Breitkopf & Härtel

Jetzt beginnt eine lebhaftere allegro-Phase. In der Phase Allegro moderato ist der Puls langsamer und tiefer. Schließlich startet die letzte große Steigerung. In den Tremolos der Streichinstrumente und den brüllenden Effekten der Blechblasinstrumente ist Sibelius am dramatischsten und am originellsten.


Auszug aus einer Partiturseite von Tapiola, Breitkopf & Härtel


Auszug aus einer Partiturseite von Tapiola, Breitkopf & Härtel

Übrig bleibt nur die Coda, in der der Maestro des Orchesters sich von seinem Lieblingsinstrument verabschiedet – ohne es zu wissen. Er würde noch jahrzehntelang an seiner achten Symphonie arbeiten. Aber Tapiola war seine letzte symphonische Dichtung und die lange bearbeitete Symphonie stellte den Komponisten nie so sehr zufrieden, dass er sie für die Veröffentlichung hätte vollenden können.

Tapiola blieb Sibelius’ letztes großes Meisterwerk. „Auch wenn Sibelius nichts anderes komponiert hätte, dieses Werk wäre ausreichend, um ihm einen Platz unter den Großmeistern aller Zeiten zu garantieren“, schrieb Cecil Gray.