Op.
22 Lemminkäinen
(Vier
Legenden)
Nr.
1 Lemminkäinen und die Mädchen auf der Insel (Lemminkäinen
ja saaren neidot),
1. Fassung 1895, Erstaufführung am 13. April 1896 in Helsinki (Orchester
der Philharmonischen Gesellschaft, Dirigent Jean Sibelius). 2.
Fassung 1897, Erstaufführung am 1. November 1897 in Helsinki (Orchester
der Philharmonischen Gesellschaft, Dirigent Jean Sibelius). Endgültige
Fassung 1939.
Nr.
3 (Nr. 2 bis 1947) Der Schwan von Tuonela (Tuonelan
joutsen), 1. Fassung 1895, Erstaufführung am 13. April 1896 in
Helsinki (Orchester der Philharmonischen Gesellschaft, Dirigent
Jean Sibelius). 2. Fassung 1897, Erstaufführung am 1. November
1897 in Helsinki (Orchester der Philharmonischen Gesellschaft,
Dirigent Jean Sibelius). Endgültige Fassung 1900.
Nr.
2 (Nr. 3 bis 1947) Lemminkäinen in Tuonela (Lemminkäinen
Tuonelassa), 1. Fassung 1895, Erstaufführung am 13. April 1896 in
Helsinki (Orchester der Philharmonischen Gesellschaft, Dirigent
Jean Sibelius). 2. Fassung 1897, Erstaufführung am 1. November
1897 in Helsinki (Orchester der Philharmonischen Gesellschaft,
Dirigent Jean Sibelius). Endgültige
Fassung 1939.
Nr.
4 Lemminkäinen zieht heimwärts (Lemminkäinen
palaa kotitienoille/Lemminkäisen kotiinpaluu),
1. Fassung
1895, Erstaufführung am 13. April 1896 in Helsinki (Orchester der
Philharmonischen Gesellschaft, Dirigent Jean Sibelius). 2. Fassung
1897, Erstaufführung am 1. November 1897 in Helsinki (Orchester
der Philharmonischen Gesellschaft, Dirigent Jean Sibelius). Endgültige
Fassung 1900.
Lemminkäinen,
auch Lemminkäinen-Suite (Lemminkäissarja) genannt,
bedeutete für Sibelius, nach der Opernkrise, die Rückkehr zu
umfassenden Orchesterwerken. Bald nach der Erstaufführung des
Werkes Eine Sage (En Saga, Satu), dessen Empfang etwas mürrisch
war, machte Sibelius sich mit der Schrift Oper und Drama
von Wagner bekannt und zog daraus die Schlussfolgerung, dass Musik
ohne Wörter den Menschen nicht befriedigen könnte. Er plante,
eine Oper zu einem Libretto von J. H. Erkko zu komponieren, das
auf der Grundlage der 8. und 16. Rune des Kalevalas geschrieben
werden sollte.
Es
handelt sich um die Oper Der Bootsbau (Veneen luominen),
deren Handlung Sibelius sich folgendermaßen vorstellte: Der junge
Väinämöinen (in Briefen und Librettoentwürfen Väinö oder Wäinö
genannt) sieht am blutroten Abendhimmel Kuutar (Mondfee), verliebt
sich in diese und bittet sie, seine Frau zu werden. Kuutar (Mondfee)
verspricht einzuwilligen, wenn Väinämöinen aus den Splittern
einer Spindel ein ganzes Boot zusammensingen könnte. In der
zweiten Szene versucht Väinö vergebens das Boot zusammenzusingen.
Ihm fehlen die für das Werken eines Bootes benötigten Wörter.
In der dritten Szene geht Väinö in das Tuonela (Totenreich), um
die fehlenden Wörter zu erbitten. Vor sich dahindämmernd bekommt
Väinö von Tuonetar (Herrin von Tuonela) drei Wörter zugeflüstert.
In der Schlussszene fährt Väinö in seinem neuen Boot auf einem
See und beteuert singend seine Liebe. Der Himmel wird rot, Kuutar
(Mondfee) erscheint und die Liebenden bekommen einander.
Der
Komponist erinnerte sich, dass er 1893 im Sommerhaus in Ruovesi
die Ouvertüre der Oper vollendete, aus der er später die Legende
Der Schwan von Tuonela (Tuonelan joutsen) für die Lemminkäinen-Suite
(Lemminkäissarja) herausarbeitete. Die Planung der Oper wurde
durch Karelia-Musik betreffende Auftragsarbeiten unterbrochen.
Gegen Jahresende zeigte Sibelius Kaarlo Bergbom den
Librettoentwurf, aber dieser Mäzen und Hansdampf des finnischen
Theaters und der finnischen Oper hielt das Thema nicht für
dramatisch genug für den Bühnengebrauch.
Sibelius
gab nicht auf. Im Juli 1894 besuchte er den Dichter Paavo
Cajander, der den Sommer in der Nähe von Hämeenlinna verbrachte.
Sibelius hatte seinen Opernentwurf aus der Schublade seines
Schreibtisches hervorgekramt und wollte mehr Dramatik in den Text.
Der
Musikwissenschaftler Markku Hartikainen fand im Herbst 1998 in
Cajanders Papieren, im Archiv der Finnischen Literaturgesellschaft
(SKS), Sibelius’ Manuskript für den zweiten Librettoentwurf der
Oper Der Bootsbau (Veneen luominen). Vermutlich bat der
Komponist Paavo Cajander, ein neues, auf diesen Entwurf
basierendes Libretto zu schreiben. Der Entwurf ist wesentlich
dramatischer und szenisch dankbarer als der frühere Entwurf.
Die
erste Szene ist nicht erhalten geblieben. In der zweiten Szene
gibt es auffallende Massenszenen, in denen Wäinö und die
Dorfbewohner streiten und Wäinö enthüllt seinen Idealismus und
seine Unsicherheit. In der dritten Legende trifft Wäinö Tuonen
Tytti (Tochter des Todes) in Tuonela (Totenreich) und sie verliebt
sich in Wäinö. Tytti rettet Wäinö vor den Geistern des
Totenreiches, deren Singen den Helden wehrlos gemacht hat. In der
letzten Legende rudert Wäinö mit seinem Zauberboot zu Luonnotar
(Tochter der Natur) – also nicht mehr zu Kuutar (Mondfee) –
und gesteht stürmisch seine Liebe. Luonnotar (Tochter der Natur)
erweist sich jedoch als kalt und zurückhaltend. Wäinö gibt
seinen Traum auf und bleibt allein.
Diese
Geschichte war schon hinreichend abwechslungsreich und dramatisch
für ein Bühnenstück. Um seinen Glauben an die Oper zu beleben,
reiste der Komponist im Sommer 1894 nach Bayreuth zu den
Richard-Wagner-Festspielen. Er wurde der Anbetung des deutschen
Komponisten schnell überdrüssig, aber gestand zugleich ein, dass
er Parsifal und Tristan und Isolde so
souverän fand, dass er die Fortsetzung seiner Komponistenlaufbahn
für einen Moment für unmöglich hielt.
Sibelius
konnte sich von Wagner losreißen, indem er sich in Liszt
vertiefte. „Ich glaube, dass ich eigentlich ein Musikmaler und
Dichter bin. Damit meine ich, dass der Musikstil von Liszt
mir am nächsten liegt.
Jene symphonische Dichtung (so meinte ich das mit dem ’Dichter’).
Ich behandle gerade ein mir sehr liebes Thema. Ich erzähle dann,
wenn ich zurückkomme“, schrieb er am 19. August an Aino.
Es
ist wahrscheinlich, dass das in dem Brief erwähnte „liebe Thema“
die erste Andeutung der künftigen Lemminkäinen-Suite war,
die sich aus den Splittern des Werkes Der Bootsbau zu
formen begann. 1935 erzählte Sibelius seinem Biographen sogar
zwei Mal, dass er in München gerade an Lemminkäinen
gearbeitet hätte. Der Musikwissenschaftler Veijo Murtomäki hat
vermutet, dass Sibelius genauso gut die Komposition Die
Waldnymphe (Skogsrået, Metsänhaltiatar) gemeint haben könnte.
Nach
der Heimkehr arbeitete Sibelius noch monatelang an dem Werk. Aus
der Ouvertüre von Der Bootsbau (Veneen luominen) wurde
jetzt die Legende Der Schwan von Tuonela (Tuonelan
joutsen). Sibelius hatte beschlossen, die programmatische
Anfangsidee des Werkes so zu ändern, dass sie jetzt Lemminkäinens
Abenteuer beschreiben würde. Die Musik von Wäinö’s Fahrt nach
Tuonela passte nach der Umarbeitung sehr gut für die Legende Lemminkäinen
in Tuonela (Lemminkäinen Tuonelassa). In den Entwürfen wurde
auch eine Erwähnung „Tuonen tytti“ („Tochter des Todes“)
gefunden, die auf den früheren Opernentwurf hinweist.
Man
weiß nicht, in welchem Ausmaß Lemminkäinen und die Mädchen
auf der Insel (Lemminkäinen ja saaren neidot), das das Werk
eröffnet und der großartige Abschluss des Werkes Lemminkäinen
zieht heimwärts (Lemminkäinen palaa kotitienoille) auf dem
Opernplan beruhen. 1896 hatte Sibelius auch schon andere
Anregungen. „Der erste Satz war in Sonatenform – die ganze
Geschichte war als Programmsymphonie gedacht“, erinnerte sich
der Komponist später und erzählte, dass er Inspirationen von
symphonischen Dichtungen von Hector Berlioz bekommen hätte. La
damnation de Faust (Faustin tuomio) von Berlioz war in den
Jahren 1894–1895 ein Lieblingsstück des Helsinkier Publikums
gewesen.
Anfang
April 1896 begann Sibelius die Orchesterproben seiner Lemminkäinen-Suite
(Lemminkäissarja). Das Orchester hielt die Musik für schwierig
und was nahe daran zu streiken, genau wie bei den ersten Proben
der Kompositionen Kullervo
und Eine Sage (En Saga, Satu).
Die Frau des Komponisten weinte während der Proben, als sie die
Auseinandersetzungen hinter der Tür hörte.
Die
Kritiken des Konzerts waren unterschiedlich. Karl Flodin schrieb:
„Sibelius ist es gelungen, der großen Gefahr zu entgehen, sich
selbst zu wiederholen“, und lobte die Loslösung des Werkes „vom
finnischen Ton“. Er fand
jedoch das
Englischhornsolo im Schwan
von Tuonela
(Tuonelan joutsen) „kolossal
lang und lästig“.
Er hielt Sibelius’ Bestrebung „seinen Zuhörern durch Stimmung
und Modulierung und mit hypnotischer Gewalt zu suggerieren, womit
sie sich abfinden müssen, wenn sie nicht ihre Kräfte sammeln und
– den Konzertsaal verlassen“ für fragwürdig.
Der
finnischsprachige Oskar Merikanto rühmte den finnischen Ton des
Werkes. „In Lemminkäinen bewundern wir den allerseits
reifen Künstler und sein Werk, das auf den ersten Platz der
Kompositionen unseres Landes, sowohl wegen seiner Form als auch
wegen des Inhalts, gestellt werden muss.“
Flodins
Vorbehalte riefen Erstaunen hervor, aber auch der Komponist selbst
war nicht ganz zufrieden. Die Erstaufführung der überarbeiteten
Fassung war am 1. November 1897. Zum Beispiel wurde bei der
Orchestration der Legende Lemminkäinen und die Mädchen auf
der Insel (Lemminkäinen ja saaren neidot) auf das Tamburin
sowie auch auf das Glockenspiel verzichtet, aber zugleich gab es
im Mittelteil auch Neues. Auch aus Lemminkäinen zieht heimwärts
(Lemminkäinen palaa kotitienoille) war ziemlich viel Loses
verschwunden.
Im
ausverkauften Saal klatschte das Publikum begeistert, und Oskar
Merikanto war überglücklich. „Wir fühlten, als ob unser
Publikum zum ersten Mal richtig herzhaft die Hand unseres besten
Komponisten geschüttelt und gesagt hätte: Danke für deine
genialen Kompositionen, jetzt verstehen wir dich und sind stolz
auf dich!“
Karl
Flodin überraschte dennoch mit seiner total zerschmetternden
Kritik:
„Musik
wie diese wirkt absolut pathologisch und hinterlässt so
verworrene, peinliche und vom Charakter her unbestimmbare
Sinneseindrücke, dass sie sehr wenig mit dem ästhetischen
Wohlgefallen zu tun hat, das alle schönen Künste und vor allem
die Musik hervorrufen sollten (...)
Dass
Sibelius ein Genie ist, das hat er viel zu oft gehört, deshalb
wagt er es auch, seine eigenen Wege zu gehen. Gut so. Aber eine
solche Kunst, die den Menschen nicht großherziger und glücklicher
machen kann, wenn auch nur für einen Augenblick, sie schwebt mit
Sicherheit auf einem Wellenberg und verschwindet damit ohne eine
Spur zu hinterlassen.“
Sibelius
war niedergeschlagen. Er glaubte aber trotzdem an den Wert der
Werke Der Schwan von Tuonela (Tuonelan joutsen) und Lemminkäinen
zieht heimwärts (Lemminkäinen palaa kotitienoille) und
behielt sie in seinem Repertoire. Gerade diese Werke und Finlandia
sowie die Symphonie Nr. 1 verhalfen
ihm Anfang des 20. Jahrhunderts zum internationalen Durchbruch.
Aber die Legenden Lemminkäinen und die Mädchen auf der Insel
(Lemminkäinen ja saaren neidot) und Lemminkäinen in Tuonela
(Lemminkäinen Tuonelassa) blieben jahrzehntelang vergessen. Der
Komponist dirigierte sie nie wieder.
Sibelius
machte sich vermutlich erst 1933 erneut an die von ihm verworfenen
Legenden, nachdem er die Partitur von Lemminkäinen von
Robert Kajanus’ Erbengemeinschaft zurückbekommen hatte. Er
erlaubte das Aufführen der Legenden am 1. März 1935 aus Anlass
des hundertjährigen Kalevala-Jubiläums. Die Legenden wurden
jetzt gut aufgenommen, wie erwartet, und der Komponist beschloss
auch die Veröffentlichung der Werke zuzulassen, nachdem er 1939
noch einige Korrekturen vorgenommen hatte. Der Krieg verzögerte
die Veröffentlichung, aber 1954 konnten sie schließlich in Druck
gehen. „Es ging wie es ging, weil einige Herren meine Legenden
nicht leiden konnten“, stellte Sibelius fest.
Die
Legende Lemminkäinen und die Mädchen auf der Insel
(Lemminkäinen ja saaren neidot) fängt mit den Signalen der Waldhörner
an, die oft etwas nebelhornartig bleiben. Die Streicher mögen das
Spiel der Wellen imitieren und von den Holzblasinstrumenten hört
man Ausschnitte der Themen, die die Bühne für das Treffen von
Lemminkäinen mit den Mädchen vorbereiten.
Hier
handelt es sich nicht um eine programmatische Musik in dem Sinn,
dass die Musik irgendeiner erzählten Handlung folgen würde. Es
ist dennoch leicht, das der Figur der Streicher folgende tänzerische
Thema der Holzblasinstrumente mit „den Jungfrauen der Insel“
zu assoziieren.
Lemminkäinen
und die Mädchen auf der Insel (Lemminkäinen ja saaren
neidot), Partiturseite 4, Breitkopf & Härtel
Genauso
leicht ist es, wie Erkki Salmenhaara es macht, die darauf folgende
„unendliche Melodie“ mit dem leidenschaftlichen Lemminkäinen
– oder mit erotischer Sehnsucht im Allgemeinen zu verbinden. Der
Aufstieg beginnt mit einer Melodie des Violoncello.
Lemminkäinen
und die Mädchen auf der Insel (Lemminkäinen ja saaren
neidot), Auszug aus der Partiturseite 11, Breitkopf & Härtel
Der
Aufstieg setzt sich immer weiter fort und in der Entwicklung
werden die Themenmotive von Lemminkäinen miteinander verknüpft.
Schon in Kullervo
schilderte Sibelius physische Liebe, die in einem Ausbruch endete.
Jetzt wird dasselbe geschickter geschildert und die Stimmung ist
statt hitzig echt erotisch, zuweilen dunkel und sehnsuchtsvoll,
zuweilen spielerisch und schelmisch. In der Coda beruhigt sich die
Stimmung.
In
den 1890er Jahren wurde als die zweite Legende der Lemminkäinen-Suite
(Lemminkäissarja) Lemminkäinen in Tuonela (Lemminkäinen
Tuonelassa) gespielt, aber Sibelius entschloss sich später, den
Satz Der Schwan von Tuonela (Tuonelan joutsen) an die
zweite Stelle zu setzen. Heute benutzen die Dirigenten beide
Reihenfolgen, aber die ursprüngliche wird immer beliebter.
Der
Schwan von Tuonela
(Tuonelan joutsen) ist ein prachtvolles Beispiel einer
dunkelfarbigen Orchestration und der Art von Sibelius, das
Klavierpedal mittels seiner geschickten Instrumentation zu
ersetzen. Das merkt man gleich am Anfang, wenn der Komponist den
a-Moll-Dreiklang eine Oktave nach der anderen aufwärts treibt.
Der
Schwan von Tuonela (Tuonelan
joutsen), erste Partiturseite, Breitkopf & Härtel
Sibelius
lässt die Flöten, Klarinetten und Trompeten weg, hebt die
Streicher auf hohes Register und lässt auf diese Weise Platz für
das lange, großartige Englischhornsolo, das von den Violoncelli
unterstützt wird.
Der
Schwan von Tuonela
(Tuonelan joutsen), Auszug aus der Partiturseite 2, Breitkopf
& Härtel
Die
Musik in diesem Satz ist sehr statisch, ein interessanter,
musikalischer Zustand, worin der Zuhörer verzaubert versinken
kann. Wenn man will, kann man den Schwan von Tuonela
(Tuonelan joutsen) als einen Vorgänger der Komponisten von György
Ligeti bis Arvo Pärt und Kaija Saariaho sehen, die alle statische
Elemente als Material für ihre Musik benutzt haben.
Lemminkäinen in
Tuonela (Lemminkäinen Tuonelassa) ist die opernhafteste Musik
der ganzen Suite. Im
Schwan von Tuonela (Tuonelan joutsen) war Tuonela (das
Totenreich) noch die Ruhestätte des Friedens und Todes. Jetzt
scheinen die bösen Geister wach geworden zu sein, weil Lemminkäinen
sich getraut hatte, den Schwan auf dem heiligen Strom Tuonela zu
fangen.
Lemminkäinen
in Tuonela (Lemminkäinen Tuonelassa), Auszug aus der
Partiturseite 14, Breitkopf & Härtel
Die
infernale Stimmung entsteht durch das Tremolo der tiefen Violinen.
Das Tempo beschleunigt sich und man hört das Infernomotiv von den
Bläsern. Das Motiv entwickelt sich überraschend
impressionistisch, wie bei Debussy. Zum Schluss scheinen nur Reue
und Tod zu bleiben.
Ein
neuer Aufstieg, neue Ausbrüche der Blechinstrumente. Die Tremoli
werden erst in der largamente-Episode weggelassen, die mit dem
Spiel der Violinen und des Tamburins in die Zwischenperiode führt.
Diese Stelle war wahrscheinlich die Beschreibung des Erscheinens
von Tuonen Tytti (Tochter des Todes) in dem Opernentwurf Der
Bootsbau (Veneen luominen).
Lemminkäinen
in Tuonela (Lemminkäien Tuonelassa), Auszug aus der
Partiturseite 34, Breitkopf & Härtel
Der
Ton des Themas wird immer finnischer. Die Musik mag jetzt die
Mutter von Lemminkäinen darstellen. „Das Wiegenlied am Ende des
Stückes ist die Liebe der Mutter, die Lemminkäinens Körperteile
aus dem Fluss zusammenfischt“, erklärte Sibelius 1948 seinem
Schwiegersohn Jussi Jalas.
Die
infernalen Tremoli der Streicher kehren zurück und werden von den
Blechinstrumenten resolut unterstützt. Wenn man will, kann man
das als einen Kampf um Lemminkäinen oder als sein Erwachen aus
dem Tod ansehen. Ein Teil dieser Legende ist kräftige Musik, aber
Erkki Salmenhaara hat mit Recht darin auch formelle Elemente
gesehen.
Dagegen
gibt es nichts Formelles in der meisterhaften letzten Legende Lemminkäinen
zieht heimwärts
(Lemminkäinen palaa kotitienoille).
Das Fagottenmotiv am Anfang beinhaltet einen Keimling dreier Töne.
Mit dessen Variationen zieht Sibelius durch das ganze Rondo des
Finales.
Lemminkäinen
zieht heimwärts
(Lemminkäinen palaa kotitienoille), Auszug aus der Partiturseite
1, Breitkopf & Härtel
Sibelius'
motivische Entwicklungstechnik ist schon auf eine meisterliche
Ebene herangereift. Von c-Moll auf „heimwärts“ in Es-Dur wird
deutlich über die östliche Route gegangen. Der Rückschlag der
Becken bringt einen geradezu orientalischen Ton in die Musik. Der
Kritiker Ferdinand Pfol von den „Hamburger Nachrichten“ fand
1900 auch „gezerrte Akzente und schwere Betonung auf der ersten
Note, wie die ungarischen Zigeuner es mögen.
Lemminkäinen
zieht heimwärts
(Lemminkäinen palaa kotitienoille), Auszug aus der Partiturseite
55, Breitkopf & Härtel
Das
Reitakkompagnement führt die Legende zu einem freudenreichen Ende.
„Ich möchte, dass wir Finnen etwas mehr Stolz hätten. Nicht
den Kopf hängen lassen! Wofür sollten wir uns schämen? Dieser
Gedanke zieht sich durch die Heimkehr von Lemminkäinen. Lemminkäinen
kann sich mit jedem Grafen vergleichen. Er ist ein Aristokrat,
durchaus ein Aristokrat“, erklärte Sibelius in einem 1921 veröffentlichten
Interview.
Als
Ganzheit liegt die Lemminkäinen-Suite (Lemminkäissarja)
einer Symphonie überraschend nahe: Es gibt den ersten Satz, der
die Sonatenform nutzt, es gibt den langsamen Satz, das infernale
Scherzo und das freudenvolle Finale. Sibelius neigte auch selber
in seinen alten Tagen dazu, die Symphonieartigkeit seines Werkes
zu betonen. Eigentlich habe ich neun Symphonien geschaffen, denn
beide, Kullervo
und Lemminkäinen,
enthalten rein sonatenförmige Sätze“, erwähnte er.
Während
er das Werk komponierte, wollte er jedoch die Bezeichnung
Symphonie nicht benutzen. Vier Legenden – der zusätzliche Name
gab zu verstehen, dass die Werke auch selbstständig waren, obwohl
sie auch eine Ganzheit bildeten. Es vergingen noch ein paar Jahre,
bis Sibelius seine Symphonie Nr. 1 komponierte.