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In memoriam

Op. 59 In memoriam, Trauermarsch. 1. Fassung 1909. Die endgültige Fassung 1910. Erstaufführung am 8. Oktober 1910 in Oslo (Musikforeningen, Dirigent Jean Sibelius).

In memoriam hatte seinen Ursprung spätestens im Jahr 1904, als Eugen Schauman im Juni den Generalgouverneur Bobrikov erschoss und danach sich selbst das Leben nahm. Der Tod des „Finnland-Fressers“ heiterte viele einflussreiche Leute im Großfürstentum Finnland auf, aber ein politischer Mord machte das gesetzestreue Volk stutzig. Ein Teil des Volkes war allerdings der Meinung, dass Schauman seine Sünde mit dem Selbstmord verbüßt hatte.

Nach einer bekannten Anekdote feierte Sibelius Bobrikovs Ermordung so ausgelassen, dass die Polizei ihn, Armas Järnefelt und Jost von Qvanten verhaftete, um sie im Wachzimmer in Eerikinkatu zu verhören. Als Grund für die Verhaftung wurde „omotiverad glädje“ d. h. unmotivierte Freude angeführt. In den Protokollen der Polizeistation in Eerikinkatu war so ein Dokument später nicht zu finden, aber die Restaurantrechnungen Ende Juni waren sehr lang und am Ende standen große Summen. Im Restaurant Kappeli wurden am 27., 29. und 30. Juni Unmengen von Kognak, Sherry, Madeira und Whisky getrunken – vielleicht auch anlässlich des Todes von Bobrikov.

In Sibelius’ Kopf begann sich ein Werk zum Gedächtnis von Schauman zu formen. Er erwähnte es zum Beispiel am Neujahrstag 1905 bei Eero Järnefelt in Suviranta. Die Journalistin Tekla Hultin war anwesend und schrieb in ihr Tagebuch:

„Vormittags besuchten wir dann Eero Järnefelt. Auch sein Bruder Armas und Jean Sibelius mit Gattin kamen. Sibelius sagte, dass er vorhabe, ein Requiem zum Gedächtnis von Eugen Schauman zu schreiben und das er schon zu komponieren angefangen hätte. – Hoffentlich wird es so gewaltig, wie es der Angelegenheit gebührt! Es wird ja das einzige Denkmal sein, das wir ihm errichten können!“

Sibelius fuhr nach Berlin, wo ihm seiner Erinnerung nach „das Motiv“ für In Memoriam einfiel. So erzählte er es jedenfalls 1935 Karl Ekman.

Es sieht so aus, dass Sibelius nicht richtig gewusst hätte, was er mit seinem Requiem-Motiv tun sollte. Er spielte Anfang des Jahres 1906 Oscar Parviainen einige Themen vor, von denen er einem den Namen Trauermarsch gab. Davon inspiriert malte Parviainen sein Werk Der spanische Trauerzug (Espanjalainen hautaussaatto), das an der Wand im Saal Ainolas hängt. Es ist möglich, dass das Thema Trauermarsch Motive aus dem Werk In memoriam umfasste. Es kann aber auch eine Verbindung zu dem für Eugen Schauman geplanten Requiem geben – oder zu dem Teil „Begräbnis Jesu“ des skizzierten Marjatta-Oratoriums.

Es ist interessant, dass Sibelius sich erst 1909 nach seiner Kehlkopfoperation mit dem Motiv eingehender beschäftigte. Er dachte täglich an den Tod und Erik Tawaststjerna meinte, dass er In memoriam schließlich für sich selbst komponierte. Das Werk wurde auch beim Begräbnis des Komponisten gespielt, aber viel später, als Sibelius 1909 hätte ahnen können, erst im Jahr 1957.

In memoriam wurde am 14. Dezember 1909 vollendet. Sibelius war jedoch nicht mit dem Korrekturabzug der Partitur zufrieden und in seiner endgültigen Form wurde In memoriam im März 1910 fertig. Die Uraufführung verschob sich immer wieder, bis Oktober 1910. Sibelius gab ein Konzert in Kristiania (Oslo). Die Kritiken waren widersprüchlich. Viele mochten die anderen Nummern, aber zum Beispiel war Otto Winter-Hjelm von „Aftonposten“ der Meinung, dass In memoriam „viel durch übertriebenes Streben nach Wirkung verliert“.

In memoriam fängt mit einem kraftvollen Trauermarschrhythmus an. Die Orchestrierung erinnert an die fünfte Symphonie von Gustav Mahler, die Sibelius 1905 in Berlin gehört hatte, als ihm „das Motiv“ für das Werk eingefallen war. Gerade diese Mahler-Ähnlichkeit und nicht Sibelius-Ähnlichkeit haben die Musikwissenschaftler dazu gebracht, den Wert des Werkes zu überlegen.

„Die fremden Einflüsse sind zu hören und es scheint, dass auch nicht alle Motive von oben gegeben sind“, beurteilte Erkki Salmenhaara. Nach Ralph Wood nützt das Werk sogar den langsamen Satz der dritten Symphonie von Beethoven und den Trauermarsch aus Götterdämmerung von Wagner aus, aber ohne die Vorzüge von beiden.

Obwohl es in dem Werk Einflüsse von Mahler und Wagner gibt, könnte es nie eine Komposition von diesen beiden sein. Das Werk ist nicht typisch für Sibelius, aber es macht sein Komponistenbild vielseitiger. Nach Erik Tawaststjerna ist das Werk „ein persönliches musikalisches Beweisstück“.